Cardillo

Architektur

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Wohnung „House of Dust“ in Rom

Berlin, 


Christine Schroder über Cardillos Haus aus Staub in AIT Magazin




AIT Magazin 3/14



Kritik


In Rom hat der Architekt Antonino Cardillo für einen befreundeten Notar das „Haus aus Staub“ entworfen. Eine 100 Quadratmeter große Wohnung, in der das Zusammenspiel von Licht und Schatten eine ganz neue Bedeutung erhält. Durch unterschiedliche Oberflächenstrukturen und Materialien entstehen immer neue, reizvolle Stimmungen und dank der Anwendung des Goldenden Schnitts als ideales Teilungsverhältnis stellt sich in den Wohnräumen eine ausgewogene Harmonie von ganz alleine ein.


Rom, die ewige Stadt am Tiber. Hier vereint sich die Geschichte von Antike, Mittelalter und Neuzeit mit der modernen Gegenwart und das Weltliche mit dem Christentum. Baustile wie Romanik, Renaissance, Barock und Klassizismus fanden hier ihren Ausgangspunkt. Ingenieursleistungen wie Aquädukte, die Wasser aus großen Entfernungen in die Stadt leiten, wurden hier perfektioniert. Als wichtiger Baustein in der Architektur gilt neben der Entwicklung immer noch gültiger Stilelemente die Erfindung von Beton zur Zeit des Römischen Reiches. Auch die Grundlage unseres politischen Systems und Rechtswesens mit Bestandteilen wie Gewaltenteilung, Staatsbürgerschaft und Demokratie beruht auf römischen Vorbildern – nicht zu vergessen die lateinische Schrift, die bis heute weltweit am häufigsten verwendet wird. In diesem einflussreichen Umfeld hat sich der sizilianische Architekt Antonino Cardillo zum Entwurf einer Wohnung inspirieren lassen, in der er die Materie Staub hochleben lässt. 2009 wurde er vom Wallpaper* Magazin unter die 30 besten Jungarchitekten der Welt gewählt, seither gilt der junge Wilde, der in seinen Entwürfen gerne die Grenzen zwischen Fiktion und Realität auslotet, als eines der hoffnungsvollsten Architekturtalente Italiens. Mit dem Bauherrn ist Cardillo schon eine ganze Weile befreundet, und so ließ ihm dieser freie Hand bei der Gestaltung seiner neuen Wohnung. Diese befindet sich im Obergeschoss eines Gebäudes aus dem frühen 20. Jahrhundert und liegt unweit des Parks Villa Borghese, der als einer der schönsten der Stadt gilt. Vor der Renovierung bestimmte eine kühle Leere im Stil der 1960er-Jahre das Bild der Räume, die durch eine schlechte Proportionierung zwischen relativ hohen Räumen und kleinen Fensteröffnungen noch verstärkt wurde. Damit hat der Architekt nun Schluss gemacht und ganz im Sinne des Bauherrenpaares mit geschickten Handgriffen stimmige Raumverhältnisse in die Wohnung gebracht. Bei seinen Entwürfen bedient sich Cardillo stets auch geschichtlicher Elemente, denn für den Sizilianer gehört ein ausgeprägtes Geschichtsbewusstsein unweigerlich dazu, will man in der Gegenwart gute Entwürfe liefern. Auch schätzt er den Einfluss fremder Kulturen und so befindet sich sein Arbeitsplatz nicht etwa an einem festen Ort, sondern wird von seinem Laptop gebildet, den er überall auf der Welt platzieren kann, um seiner Kreativität freien Lauf zu lassen. Die Wohnung wird über einen kleinen Flur erschlossen, der links in die Küche übergeht und rechts ins Wohnzimmer führt, von wo aus man in den Arbeitsraum und einen introvertierten Schlaftrakt gelangt. Bei Bedarf kann die Küche mittels einer schwenkbaren Wandscheibe abgetrennt werden. In geöffnetem Zustand steht sie versetzt neben der Wand. Die Decke hat Cardillo durch das Aufbringen von grobem, erdfarbenem Putz – den er als „Staubschicht“ bezeichnet – optisch nach unten geholt, wodurch die Räume eine höhlenartige Anmutung erhalten. Sämtliche Fenster und Durchgänge schließen mit dem künstlichen Horizont ab, so wird das einfallende Licht gezielt in den unteren, hell gehaltenen Bereich gelenkt. Lediglich eine Lampe an der Decke und ein Regal im Wohnzimmer übertreten die Linie zwischen der rauen Struktur und der darunter anschließenden, glatt verputzten Wand in hellem Grau für deren Ermittlung der Goldene Schnitt angewendet wurde. Im Wohnzimmer wurden anstatt eines Teppichs Eichendielen in den geschliffenen Betonboden eingelassen, der mit der erdfarbenen Decke korrespondiert und für Wohnlichkeit sorgt. Eingangsbereich und Küche werden durch eine Serie von Tapetentüren flankiert, hinter denen sich Stauraum befindet. Für deren Entwurf ließ sich Cordillo von italienischen Gemälden aus dem 14. Jahrhundert inspirieren. Durch eine ebenso unscheinbare Tür im Wohnzimmer, die von einem rosafarbenen Glastürknopf gekennzeichnet ist, gelangt man über einen schmalen Gang in den privaten Bereich mit Ankleideraum, Schlafund Badezimmer, der ganz bewusst intim gehalten und vom Rest abgetrennt ist. Hier gibt es keinen groben Putz mehr, sondern glatte Wände und Decken in hellem Rosa. Der mit Licht inszenierte Duschund Waschbeckenbereich verleiht dem Schlafzimmer etwas Surreales, gehören diese Elemente doch eigentlich ins Badezimmer. Der zylindrisch von der Decke hängende Duschvorhang bildet das einzige textile Element in der gesamten Wohnung. Ansonsten ist es dem Architekten gelungen, mit festen Materialien – die durch ihre Textur und Farbigkeit für ein durchaus ungewöhnlich hartes Ambiente sorgen – eine Wohnung zu schaffen, die auf ihre ganz eigene Art die Geschichte der Architektur und die ganz spezielle Geschichte der Stadt Rom verarbeitet.

Antonino Cardillo, Haus aus Staub, Rom, 2013. Fotografie: Antonino Cardillo

Antonino Cardillo, Haus aus Staub, Rom, 2013. Fotografie: Antonino Cardillo