Kritik
Jeanette Kunsmann
Letzten Sommer trafen sich Richard Wagner und Andrea Palladio in Rom – ein grandioses Gigantentreffen und zugleich der Referenzraum dieses Galerieumbaus. Crepuscular Green hat Architekt Antonino Cardillo seinen Innenausbau einer Kunstgalerie im römischen Viertel San Lorenzo genannt: eine „Grünliche Dämmerung“, angelehnt an die vier Operndramen von Rheingold bis zur Götterdämmerung. Wie aber passt Wagners Ring des Nibelungen mit dem Werk des Renaissance-Architekten zusammen? Es ist mehr als die goldgrüne Farbe an den Wänden. Ein Drama in einem Akt (Raum) – und in der Mitte schwebt ruhig der Horizont.
Wenn das Rheingold nach Sonnenaufgang in der Tiefe des Rheins erstrahlt, lässt es das gesamte Riff glänzen. Mit dieser Szene beginnt Richard Wagners Oper als Teil des Gesamtwerks Ring der Nibelungen. Von eben dieser Schönheit des Naturschauspiels, das die Welt in ihrer natürlichen Ordnung zeigt, ließ sich der italienische Architekt Antonino Cardillo inspirieren. Während die Rheintöchter Wellgunde, Woglinde und Floßhilde das Gold bewachen, „dass kein Falscher dem Hort es entführe“, kann nur der, der die Liebe verflucht, aus dem Gold einen Ring erschaffen, der ihm Macht über die gesamte Welt verleiht. Rheingold ist der perfekte Auftakt für ein dreitägiges Bühnendrama.
Von Bayreuth nach Rom. „Ich kenne mich nicht mit Photoshop aus“, erzählt der sizilianische Architekt Antonino Cardillo. „Ich habe Palladio, John Soane und Karl Friedrich Schinkel studiert.“ Mit Licht und Schatten inszeniert auch Cardillo seine Räume. Wie Andrea Palladio bezieht er sich auf die Antike. Und arbeitet mit einer klassischen, klaren und nachvollziehbaren Formensprache. Dem Galerieumbau vorrausgegangen ist das Projekt „Seven Houses for No One“ (Sieben Häuser für Niemand), mit dem der damals 32-jährige die Dimensionen von Licht und Schatten nur digital untersuchen konnte. Seine Visualisierungen sahen täuschend echt aus, dafür wurde er 2013 von den Medien als Lügenbaron an den Pranger gestellt.
Mit den Hallen des Appartements House of Dust [Haus aus Staub] und der Galerie Crepuscular Green erkundet der italienische Architekt den archaischen Domus (Typus) der Höhle. Düster ist es, gleichzeitig strahlen die Wände. War das House of Dust hauptsächlich grau-rosa-pastellig, ist die Galerie komplementär dazu Ton in Ton ganz in Grün gehalten. Als Verweis auf die „Grünliche Dämmerung“ komponiert Cardillo so die „grünlich-höhlenartigen Vertiefungen im Rhein – Heimat der ursprünglichen Schönheit und der Ort, wo die Liebe verflucht wurde.“
Wie bei dem House of Dust teilt er den Raum horizontal in zwei symmetrische Hälften: in ein Oben und Unten – dazwischen schwebt ruhig der Horizont, oder ist das der Rhein? Galerist und Auftraggeber Klaus Mondrian, in Rom kein unbeschriebenes Blatt, wird seine Fotokunst vor einer dicken Schicht grob strukturierten Putzes ausstellen, der sich wie alter Staub dort angesammelt hat. Der untere Bereich der Wände ist in einem hellen Lindgrün glatt verputzt und wird farbgleich eins mit dem Boden, während die Decke ebenso rheingoldig funkelt wie die Oberwände. Unten hell, oben dunkel: Es ist vor allem diese Umkehrung, mit der Cardillo nicht nur eine dramatische Spannung, sondern auch eine sinnliche, mystische Atmosphäre erzeugt. Mit 40 Quadratmetern eher überschaubar, hat der Architekt die Galerie in einen sakralen Raum verwandelt – und eine mutige Abwechslung zum ewigen White Cube geschaffen.
Antonino Cardillo spielt mit vertrauten klassischen Formen. Der Umbau des ehemaligen Tresens zu einem symmetrischen Altar erinnert an einen postmodernen Tempelgiebel. Mintgrün sticht das einzige Möbel aus dem klaren Raum heraus. In dem halb ausgeschnittenen Spiegelbogen reflektiert sich der Boden, trompetenförmige Deckenfluter sorgen für eine diffuse Beleuchtung. Crepuscular Green ist eine heilige Höhle, ein Raum für die Kunst. Die Mondrian Suite Gallery wird zur „Heimat der ursprünglichen Schönheit“, ein „Ort, wo die Liebe verflucht wurde.“
Antonino Cardillo, Crepuscular Green, Rom, 2014. Fotografie: Antonino Cardillo