Kritik
Christian Holl
Alles nur gerendert – und jetzt? – Ein italienischer Architekt narrt die Journaille.
Hätte man diese Geschichte erfunden, könnte man sich Vorwürfe einhandeln, etwas arg platt den aktuellen Architekturjournalismus kommentiert zu haben. Die Geschichte ist aber nicht erfunden. Antonino Cardillo wurde von Wallpaper* als einer der 30 weltweit wichtigsten Nachwuchsarchitekten bezeichnet. Veröffentlicht wurde er in H.O.M.E, build hat ihn interviewt. Im Mai flog der Schwindel auf: Cardillos veröffentlichte Häuser gibt es nicht. Es sind nur Renderings. Der Spiegel vergleicht ihn mit dem Hochstapler Felix Krull, das Wiener Magazin Falter, das zuerst die Köpenickiade aufgedeckt hatte, fragte sich, ob es Cardillo tatsächlich gebe. Die NZZ wird direkter: Pinocchios lange Lügennase wird bemüht, von Betrug ist die Rede und davon, dass Cardillo Lügenmärchen erzählt habe. Mag sein, dass sich die NZZ solch moralische Überlegenheit leisten kann. Andere Journalisten und Publizisten sollten damit vorsichtig sein. Pauschal die Medien an den Pranger zu stellen, weil sie auf alles Neue gieren, ist allerdings zu einfach. Deren Geschäft ist schwierig geworden, sie müssen sich gegen all die vielen Informationsquellen durchsetzen, zu denen der Leser dank Flatrate kostenlos Zutritt hat. Sich mit Qualitätsjournalismus zu behaupten ist hart, und nicht einmal dann ist man davor gefeit, Falsches oder Halbwahres zu verbreiten, weil man nicht jede Aussage, jede Quelle überprüfen kann. Sich die Häuser ansehen, über die man schreibt, müsste aber das Mindeste sein, könnte man einwenden – aber wieviele Leser bemerken schon den Unterschied, geschweige denn, dass er ihnen wichtig ist?
Aber auch die Leser an den Pranger zu stellen, ist zu einfach. Das ganze Geschäft funktioniert doch so: Veröffentlichungen über Architektur, die Basis des Diskurses, vermitteln ein Verständnis von Architektur, das sie auf einen idealisierten Zustand reduziert, den sie in einem kurzen Moment zwischen Fertigstellung und Ingebrauchnahme einnimmt. Unterschiede zwischen Wunschwelt und Realität sind fließend. Und für so manche Fotoserie fährt ein Möbelwagen vor, lädt die Möbel der Nutzer nach draußen, packt edle Designerware hinein, um sie am Abend wieder einzupacken und die Möbel der Nutzer wieder an ihren Platz zu stellen. Fotos werden nachbearbeitet, dass die Schwarte kracht. Ein Architekt wie Vincent Callabout findet sich in unzähligen Ausstellungen über Utopien, Architektur und Natur oder Klimahüllen, ohne dass darüber nachgedacht würde, wie sinnvoll seine Entwürfe von grünen Riesenluxusbooten für Superreiche eigentlich sind. Sie sehen eben schön aus und lassen uns noch ein paar liebgewonnene Illusionen. Im Fall Cardillo wurde an dieser Schraube nur ein kleines Stückchen weitergedreht. Der Architekt scheint, glaubt man seinen kolportierten Aussagen, sich nicht schuldig zu fühlen: er nutzt die Eigengesetzlichkeiten des Marktes, um für seine Ideen zu werben. Immerhin: Alle Artikel über ihn finden sich auf seiner Hompage, auch die, die ihn des Betrugs zeihen.
Mit einfachen Schuldzuweisungen kommt man hier nicht weiter. Eher damit, sich ein paar Fragen zu stellen. Zum Beispiel die, wie es jungen Architekten wieder leichter gemacht werden könnte, tatsächlich zu bauen. Oder die, wie wir uns über die Medien heute unsere Realität aus dem Materiellen und dem Imaginären konstruieren und welche Konsequenzen das hat. Keine einfachen Fragen, wahrlich. Wenn der Fall Cardillo nun dazu diente, wenigstens wieder eine dieser Fragen ernsthaft zu diskutieren, hätte er vielleicht mehr für den Architekturdiskurs getan, als die, die meinen, immer schon die Antwort auf sie zu haben.
Antonino Cardillo, Purple House, Pembrokeshire, 2011.